von WERNER LIERSCH
Die Literaten der DDR hatten ein „Schriftsteller Erholungsheim Friedrich - Wolf“ am Ufer des Schwielowsees zwischen Werder und Petzow über das Gedichte geschrieben wurden und ein Roman geschrieben werden sollte. Die Autoren nannten das Haus kurz „Petzow“.
Die Gedichte schrieben Karl Mickel, Jens Gerlach und Rainer Kirsch, den Roman wollte der Hamburger Karlludwig Opitz schreiben und er sollte „La bolsche Vita“ heißen. Opitz dachte dabei nicht an einen historischen Roman. Die Villa am See war einmal von der Filmschauspielerin Marika Rökk und ihrem Mann, dem Regisseur Georg Jacoby, bewohnt worden. Opitz dachte an einen Gegenwartsroman. Er war in den Fünfziger Jahren ein westdeutscher Erfolgsautor in der DDR und kannte „Petzow“ vom Tantiemenverzehr. Sein 1953 in Hamburg herausgekommener Antikriegsroman „Der Barras“ erlebte bald nach dem Erscheinen Auflage nach Auflage in der DDR. Mancher Kollege aus dem Westen hielt es mit der DM der „Deutschen Notenbank“ ähnlich. Von einem bedeutenden älteren, in München lebenden Kollegen, der 1955 einen „Nationalpreis“ der DDR bekommen hatte und später einen Teil davon in „Petzow“ verzehrte, hielt sich hartnäckig das Gerücht, ihn hätte die Schönheit einer im Haus weilenden jungen Frau so hingerissen, daß er den Wunsch äußerte, ihr einmal beim Baden zuschauen zu dürfen. Das Haus besaß für 12 Zimmer zwei Bäder. La bolsche Vita.
Die junge Frau war mit ihrem Mann am Schwielowsee und trug das Problem allein, doch sollen alle anderen Gäste heftig die Frage heftig diskutiert haben, besaß der Ausgezeichnete, dessen Herz links schlug, nicht auch Anspruch auf eine gewisse persönliche Bevorzugung in der DDR? Das Gerücht bricht hier ab. Aber vielleicht war es diese Fama, die Opitz inspirierte, sich „Petzow“ zuzuwenden. Später wählte er einen anderen Schauplatz für den Roman, irgendwie muß das Haus seine Erwartungen nicht erfüllt haben. Die müssen hoch gewesen sein, wie ich mich in der Bar des Hotels „Newa“ in Berlin, Hauptstadt der DDR, überzeugen konnte. Die Newa. - Bar er krönte eine Aktion der „Partei“, die Schriftsteller mit dem „Leben“ vertraut zu machen.
Zu Beginn der Sechziger Jahre setzte sie wieder einmal auf den „Produktionsroman“. Sie erwartete, daß die Produktion die Literatur stimuliere. Und die Literatur die Produktion. So schlecht stand es um ihre wirtschaftliche und intellektuelle Kompetenz. Der Verlag in Halle, mit dem ich zusammenarbeitete, nahm die Aufforderung wörtlich. Er dachte an eine Chemiefabrik in der Umgebung von Halle. Eine Art Verbannung im mitteldeutschen Chemiedreieck. Mir fiel für den Autor de Bruyn und mich etwas anderes ein. Im schönsten Mecklenburg am Kumerower See fischte der Fischer Dieckelmann und schrieb den Fischerroman „Schatten über dem See“, um den er ab und an um Rat fragte. Der Fischer Dieckelmann war einverstanden, daß wir kämen. Und der Verlag hatte nichts dagegen. Fischerei war ja auch „Produktion“. Und was für eine. Der Ort des „Produktionseinsatzes“ hieß bedeutunsvoll „Aaalbude“.
Der Kummerower See kann lichtblau und sturmgrau sein. Er ist mit 33 Quadratkilometern einer der größten Binnenseen Deutschlands. Wenn wir früh gegen 7 auf den See hinausfuhren, um die Reusen zu leeren, war der See meist sturmgrau und die Wellen brachen sich mit weißen Schaumkronen am Bug des Heuers, den Fischer Dieckelmann steuerte. Die Hechte in den Reusen waren wenigstens 1 Meter lang und es galt, sie mit Daumen und Zeigefinger in den Aughöhlen zu packen und sie mit einem kräftigen Schlag hinter dem Kopf zu betäuben und dann in einen Hälter in der Mitte des Kahns zu werfen. Fischer Dieckelmann hatte auf Platt gesagt, er tränke keinen Wein, der wäre ungesund,zuviel Wasser um Alkohol. Wasser und Fischschleim waren hier reichlich. Dagegen half nur Klarer. Er half beim Jagen. Er half beim Aalessen. Aaal „grün“, gebraten, sauer, als Einlage in der Kartoffelsuppe, Aaal geräuchert warm aus dem Räucherofen nach Wacholder und Buchenholz duftend. So viel Aal nirgends. In der DDR. Der Fischer und sin Fru wollten im Gegenzug Berlin kennenlernen.
Wir machten sie mit einer Bar in der Chauseestraße ohne rechte Bekanntschaft mit Bars bekannt. Wir betraten die Bar am späten Nachmittag. Sie war gähnend leer. Wir tranken tapfer und langsam eine Flasche Wein und gingen nach Norden. Am Nordbahnhof lag das Hotel „Newa“ ausgestattet mit der plüschigen Eleganz Moskauer Hotels, aber es war ja eigentlich auch ein russisches Hotel, es gehörte der Besatzungsmacht. Das „Newa“ war eine Adresse in Berlin. Die Bar hier voller Leben. Ein von Damen umringter Herr amüsierte sich köstlich, gab Runden aus, sang und erbat zu fortgeschrittener Stunde von den Musiker das Lied „Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wieder haben“. Da kein Kaiser in der Nähe war, sangen wir alle voller Inbrunst: „Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wieder haben, mit'n Bart, mit'n Bart, mit'n langen Bart...“ Der Autor de Bruyn wohl nicht. Das war Berlin und der Herr Karlludwig Opitz, der Verfasser des Romans „Der Barras“ und Vorlagenschreiber für das Stück „Mein General“, das die „Volksbühne“ am Rosa - Luxemburg jetzt gerade, 1963, aufführte. La bolsche Vita.
Das Haus am Schwielowsee kommt in der Literaturgeschichte nicht vor. Das Haus am Schwielowsee verdient, daß man Geschichten von ihm erzählt. Meine begann im März 1961. Irgendwer war aus einem fernen Grunde darauf gekommen, ich sollte in „Petzow“ vor „jungen Autoren“ einen Vortrag über den „Nouveau Roman“ halten. Die jungen Autoren hatten sich zu einer „individuellen Förderung“ zusammengefunden. Neusprachlich würde man von einem „Schreibseminar“ sprechen. Der Seminarleiter trug einen eindrucksvoll roten Pullover, er begrüßte mich freundlich, markante Zahnreihen blitzten in seinem Gesicht, er hieß Reiner Kunze. Ich lehnte den Noveau Roman erfolgreich ab, weder die Kursanten noch der Seminarleiter schrieben später einen Nouveau Roman. Im April vertraute man mir ein eigenes Seminar an. Es sollten über die Jahre noch einige folgen und sie Folgen haben oder auch keine. Einige waren sowieso Talente wie der Autor Günter de Bruyn, der sich gerade durch den Irrweg eines Romans, den er „Der Hohlweg“ nennen sollte, quälte oder dieser Joachim Nowotny, der von sorbischen Bauern zu erzählen wußte. Einige steckten voller Geschichten, die sie erzählten, aber nicht schrieben, wie der kleine feine Berliner Werner Lenz, der in der Nähe des Ostbahnhofs einer Optikerladen betrieb und dann doch den wunderbaren Roman über das Nachkriegsberlin „Wie Erwin Graßnick seinen Steinkauz fliegen ließ“ zu Papier brachte. Einige waren nur als Skatspieler gut, allerdings brauchbare Schreiber für Erich Mielke wie der IM „André“.
In Petzow sprudelte das Anekdotischer reichlich, das alle Kunst erst wirklich macht. Ein langer Bursche mit rötlichem Backenbart, der wie ein englischer Earl aussah und doch nur aus dem fränkischen Schwertadel kam, den Karl der Große vor gut 1000 Jahren an die Saale beordert hatte, war selber eine. Bonmots produzierte er aus dem Stegreif. Dem Geheimhaltungswahnsinn erfand als höchste Stufe für ein vertrauliches Papier: Vor dem Lesen vernichten! Buchenswert für unser Bild von den Russen ist die Episode, die der junge alte Adlige aus dem Juli 1945 berichtete, als sich plötzlich der Hof des „Herrensitzes“ der Familie über dem Saaledörfchen Tümpling mit Fahrzeugen der Roten Armee füllte, aus denen Soldaten und Offiziere sprangen. Jetzt geht es nach Sibirien, dachte die geängstigte Familie Tümpling. Und gerade an dem Tage, an dem der noch rüstige Ahnherr, der alte General, dem der Kaiser noch die Hand gegeben hatte, Neunzig wurde. Die sowjetischen Offiziere traten ein und salutierten. Sie entboten dem Alten, - ach, einen richtigen kaiserlicher General hatten sie besetzt - , von Offizier zu Offizier den ehrenvollen Gruß der Militärs und einen Freßkorb. Die Berichte seines Kollegen „André“ wurde der Erzähler Horst von Tümpling nicht mehr ansichtig. Er starb 1983 fünfundvierzig Jahre jung. Aber er hatte einen Satz für solche Sachen. „Manche Dinge sind so“, sagte Tümpling „da kann man sich nicht mit der Hand vor den Kopf, sondern nur vor den Arsch fassen“.
Marika und ihr Gatte hatten sich sehr hübsch angesiedelt. In der Nähe von Potsdam und den Babelsberger Ufa - Studios, wo die Frau vieler Träume Film auf Film drehte und doch abseits des Dunstkreises der Filmstadt und der Reichshauptstadt. Und hier war es wirklich ruhig. Ein großes Anwesen am Schwielowsee, so gut wie keine Nachbarn, außer Kirsch- und Apfelbäumen, der Blick nach Süden über den See auf das zu bewaldeter Höhe ansteigende jenseitige Ufer und die Zufahrt lediglich ein sandiger Weg von der Holländer - Mühle an der Straße nach Werder hierher und dann weiter zum Dorf Petzow und seinem Schloß. Den befuhr nur, wer es unbedingt mußte. Schlechte Wege schützen die Natur am besten. Marika und ihr Gatte verfügten auf dem Anwesen dennoch über einen ganzen Garagentrakt. Eingelassen in den Hang zur Straße bot er drei Wagen Platz, trug oben eine Terrasse zu der Treppen hinaufführten mit Kandelabern für die Nacht. Auch eine Kegelbahn gab es entlang einer der Grundstücksmauern, ein kleines Haus für das Personal, einen Stall und dann noch unten am See ein Badehäuschen. Großzügig das Anwesen für zwei Leute: zwei große Schlafzimmer und Wohnzimmer im Obergeschoß, zwei kleinere Zimmer dazwischen, ein Weinkeller im Souterrain, 6 Gästekämmerchen unter dem Dach, aber wenig für die vielen Gäste, die nach Marika in das Haus drängten. Lediglich die große Halle, die beinahe das ganze Erdgeschoß mit großen, zum See sich öffnenden Fensterfronten einnahm, zeigte sich der neuen Zeit gewachsen. Sogar Konferenzen fanden hier statt. In der literarischen Zeit des Hauses zierte den Kamin in der Halle ein Mann im Halbprofil. Der proletarische Dramatiker Friedrich - Wolf in Bronze.
Marika und Jacobi waren nicht immer die Besitzer der Villa gewesen. Das stand fest. Aber sonst war mit dem Haus etwas Unklares. Fest stand wieder, daß der Sekretär des Schriftstellerverbandes, der legendäre Gustav Just, der 1957 im Gefolge des Harich - Prozesses zu 4 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, 1954 bei der Suche nach einem Haus für seine Schriftsteller auf die Villa am See gestoßen war. Just und seinen damaligen Mitarbeitern, Johannes Schellenberger und Christa Wolf, hatte „Petzow“ auf Anhieb gefallen hatte. Die „Sowjetische Staatsbank“ erwies sich als Eigentümerin. Wie war sie in den Besitz der Villa gekommen? Wohl über eine Beschlagnahme. Man munkelte, 1945 hätte der SS das Haus gehört. Auf jeden Fall mußte Just 100 000 Mark zahlen und den Zorn des Kulturministers Johannes R. Becher wegen „Petzows“ auf sich nehmen. Nicht wegen der üblichen, nicht ganz formaljuristischen Kaufform. Die sollte erst später eine Rolle spielen. Becher hatte höher hinaus gewollt. Die Autorenverbände der Tschechoslowakei, Ungarns, Polens, selbst Bulgariens, verfügten über Schlösser für ihre Mitglieder.
Von Beginn des Jahres 1961 verwalteten „Petzow“ zwei Leute, die Emmy und Martin hießen, das Ehepaar Zeisberg. Sie hatten das Haus von der Familie Ihlenfeldt, den Eltern von Christa Wolf, übernommen. Die Zeisbergs waren Menschen mit strengen Begriffen. Die Petersilie, den Dill, die Karotten, die Bohnen, den Blumenkohl, die Tomaten, die sie für die Küche brauchten, zogen sie im Garten selber. Eigenhändig buk Emmy jeden Tag den Kuchen für die Kaffeestunde. In Marikas Pferdestall hielten sie ein Stück Borstenvieh und hatte es sich rund gefressen, überkam das arme Schwein die Hausschlachtung in einer für diesen Tag umgeräumten Garage. Umgeräumt war an diesem Tage auch der Eßraum im Erdgeschoß. Die Tische waren zur langen Tafel zusammengerückt, die sich für Liebhaber mit frischem Schweineschlachtenem füllte, während die Metzger draußen Wurst machten. „Petzows“ Abwechslungen waren bodenständig und bescheiden. Ein ramponiertes Billard im Keller. Ein Fernseher im Weinkeller. Natürlich das „Westfernsehen“ Potsdam und Werder. In Werder gab es ein „Russenmagazin“. Überall wo sowjetische Truppen stationiert waren, gab es sie. Ein Teil der Offiziere wohnte mit den Familien in geschlossenen Siedlungen am Rande der Kasernen und stellte das Hauptkontingent der Käufer. Die „Magazine“ waren verkramte Tante - Emma Läden mit exotischen Dingen wie Papyrossy der Marke „Belo More Kanal“, russischem Konfekt, dem Parfüm „Krasna Oktjabr“, brunftigen Hirschen auf deutschen Wandbehängen oder Wodka unbekannter Provenienzen wie dem mit Paprika verschärften „Perzovka“. Einmal sah ich ein Kartenspiel und wollte es erwerben. Der Wunsch wurde mir verwehrt. „Nu, Frau ohne Schlüpfer“, sagte die Verkäuferin, „nur für Kommandant!“.
Meine Zeit in „Petzow“ waren der Winter und das Frühjahr. Wenn mir die Decke in Berlin auf den Kopf fiel, streng zu arbeiten war, ich mich beschissen fühlte. Mit den Jahren war ich ein privilegierter Gast geworden. Ich durfte mich die Küche an den Tisch zu Emmy und Martin setzen. Da tranken wird den ersten und den letzen Besucherschluck. Die kleinen Rituale. Es gab in allen Wechselfällen eine feste Adresse. Es gab Wechselfälle. Die Adressen dafür sind so verschieden e wie die Fälle. Kam der Freund Klaus Steinhaußen, umwanderten wir in den ersten Tagen jedesmal den See. Am Ufer entlang in das Dorf Petzow. Niedrige Katen aus gelben Fehlbrandziegeln. Im gebrechlich werdenden Schloß Gewerkschaftsurlauber. Die Sichtachsen des Parks am Zuwachsen. Noch überall die Runzeln der Zeit. Ferch eine Siedlung am Wasser und eine Straße mit schönen alten Häuser. Dann der lange Weg am Nordufer zum Caputer Fährhaus und hinüber in den Wald zur der unter dem Verkehr bebenden Havelbrücke und zurück nach „Petzow“.
In den Sommermonaten gehörte das Haus Familien und Kindern. Der „Verband“ hatte an die 800 Mitglieder. Jeder DDR - Betrieb mit 800 Arbeitern besaß ein größeres „Ferienobjekt“. Ich liebte das geräumige Zimmer „2“ mit seinem Blick zum See, wo man in den Wochen vom Winter zum Frühling erst auf eine Eisfläche sah, dann wie sie donnernd brach, dann in Schollen zerfiel und endlich das Wasser wieder freigab. Erlebte Jahreszeiten. Im April konnte es nach einem Tagesausflug in das aufgeregte dumme Berlin geschehen, daß einen bei der Rückkehr ein Wunder empfing. An einem warmen Tag blühten zwischen Morgen und Abend Hunderte Kirschbäume rings um das Haus zu einem weißen Blütenmeer auf. Wärmer war es hier als anderswo. Die Obstbauern von Werder wußten, wo gut siedeln war. Die Seen speicherten die Wärme, der Sandboden sog sie auf, das hüglige Terrain strahlte sie ab. An guten Märztagen war gut sitzen am Seeufer unter den drei riesigen Pappeln. Die Sonne flimmerte über dem Wasser. Das Ufer drüben verschwand. Schöne Ferne kam. Allein unter Menschen konnte man in Petzow sein, mein liebster Zustand.
Leute mit einem Namen ließen sich hier treffen, und die dabei waren, sich einen Namen zu erschreiben. Oder es verfehlten. Man lernte sich kennen. Eine Freundschaft begründen. Eine Abneigung fassen. Eine Zahl von Besuchern sich auch lieben. Was sonst in der Welt war, war auch hier, Arbeit, Vergnügen, Zuneigung, Hoffnung, Scheitern, Ablehnung, Täuschung, Hoffnung, Tragödie, Posse, sogar der Tod fehlte nicht. Georg Maurers Herz versagte am 4. August 1971 in „Petzow“. Die „Großen“ stellten die kleinste Gruppe. Sie hatten ihre Häuser in Mecklenburg, in Ahrenshoop, an den brandenburgischen und mecklenburgischen Seen. Manche die „Häuser“ hatten, kamen trotzdem nach Petzow.
Maxie und Fred Wander hatten ein Haus in der Nähe in Klein - Machnow (zuletzt Ernst - Thälmann - Straße 22) und gehörten zu den häufigsten Gästen Petzows. 1958 waren die beiden Österreicher in die DDR gekommen. Der Jude Fred Wander hatte die Vernichtungslager überlebt. Er war ein stiller leiser Mann, Maxie eine lebensvolle junge Frau. Fred Wander machte den Eindruck, als könne er nirgendwo mehr Zuhause sein und als sei das Unbehauste nach Auschwitz seine Existenz. Vielleicht war es das, was ihn in den Jahren 1973 und 74 dazu brachte, jeweils für ein paar Wochen an der Rezeption eines kleinen Wiener Hotels zu arbeiten. Überall, auch hier, sucht er Stille, ein Paradox dieses Lebens, das durch ein tödliches Paradox gegangen war.. Die Essener, die Urchristen, liest er in den Hotelpausen und das ist für mich symptomatisch, daß ich es jetzt lese ... Chassidim, die damals schon in die Wüste gezogen sind. weil sie die Verderbtheit der Welt nicht mehr ertragen konnten!, schreibt er seinem „Fritzilein“ am 2. September 1974 aus Wien. Fred Wander ist ein sparsamer Schreiber, weil er ein großer Zweifler ist. Seine Maßstäbe sind hoch. Oder besser, er hat Maßstäbe. Einen vielfach gerühmten Film findet er in dem Fritzi - Brief gar nicht so gut. Diese Autoren sind nicht mehr in der Lage, eine einfache Geschichte zu erzählen, die poetisch und wahr ist. Und die Konsumenten sind offenbar nicht mehr imstande, eine solche Geschichte aufzunehmen. Einen sehr großen Roman über den Holocaust, „Der siebente Brunnen“, (1971) hat er da schon geschrieben und über ein „Zimmer in Paris“ wird er 1975 schreiben, nicht aber über dieses Leben unter Menschen im Hotel. Das steht nur in den Briefen, die er mit Maxie wechselt.
Hotel B. 21. 8.73 Ich staune immer wieder, wie weit die Leute herkommen und was sie zu sehen wünschen. Kann man es verantworten, siebentausend Kilometer zu fliegen, nur um die Pferde aus der Spanischen Reitschule zu sehen oder den Wiener Prater oder Schönbrunn? Nur weil Wien ein Mythos ist und sie sich einbilden, man müsse das gesehen haben?
Ach, sie suchen etwas ganz anderes und wissen es nicht.
Zuerst hatten Maxie und Fred Wander nach der Übersiedlung aus Österreich in Petzow gewohnt, vielleicht war es ihnen deshalb besonders lieb, vielleicht, weil sie das Gefühl hatten, hier besonders gut arbeiten zu können. Eine Liebe kennt viele Gründe. Vielleicht aber war es auch wegen der Tragödie, die sich mit Kleinmachnow für sie verband. Eines Tages war ihnen die elfjährige Tochter Kitti in eine Ausschachtung gestürzt und ums Leben gekommen.
Maxie Wander war eine charmante Frau von realem Sinn. Sie brachte etwas auf den Weg, daß es so in der DDR und ihrer Literatur bisher noch nicht gegeben hatte. Die ungeschminkte Protokollierung des Lebens von Frauen. Kein dürrer agitatorischer Report. „Guten Morgen Du Schöne. Protokolle nach Tonband“ hieß er bei seinem Erscheinen 1977. Lange Wochen übertrug sie in Petzow die Protokolle. DDR - Frauen lebten nicht in den Kochnischen der bunten Blätter. Im Jahr des Ercheinen ihres Buches starb Maxie Wander Vierundvierzigjährig an Krebs. „Leben wär´ eine prima Alternative“ hieß ihr nachgelassenes Buch. Treibt uns das Ende, bevor wir es wissen, durch das Leben? Trieb der in ihr hausende Tod Brigitte Reimann, die auch früh starb, in ihre Extravaganzen? Auch sie war natürlich in Petzow.
Im März 1963 setzte sich die ungestüme Brigitte an den Tisch der kühlen Essayistin Annemarie Auer mit der Frage: „Sind Weiber
Menschen?“ Es war eine rhetorische Frage. Die Reimann hatte entschieden, daß sie es nicht sind, mit einer Ausnahme: sie selbst. Die Auer hatte ihr und unserer Beachtung bald nach der Abreise der
Reimann aus Petzow am 13. März einen Brief über die Brigittenrequisiten
Die Reimann gab es ihr zu. Genieße Petzow, unseren VEB Elfenbeinturm (Gott, warum nicht Elfenbein nach so viel Kohle?) und grüße die Zeisbergs ...schrieb sie in diesem März 1964aus Hoyerswerda, wo sie seit einiger Zeit wohnte und die DDR das Kombinat „Schwarze Pumpe“ zur Kohleveredlung errichtete und sie den Stoff für „Franziska Linkerhand“ fand. Es sei krankhaftes Nachholbedürfnis aus einer Zeit verpaßter Jugend. Und dann Annemarie: Du hast mich nur im Zauberberg kennengelernt oder, wenn Du so willst, im Hörselberg. Es war der Ferien - Feuerzauber, und wenn Du mich hier sähest, in meinem verdammten, geliebten Kombinat, so wärst Du, wenn schon nicht über anderes, über meine Wandlungsfähigkeit erstaunt. Übrigens ist das nicht meine Basis - Maske, sondern meine natürliche Haut. Hierher gehöre ich, trotz allem und allem, hier sind meine Pflichten, ich habe mich wieder engagiert und bin glücklich auf eine Art, die nichts mit der überdrehten Lustigkeit im Heim zu tun hat. Ich bin wieder mitten drin in der schlichten und bewegenden Problematik eines großen Betriebes, und manches, was wir im Heim mit so viel Leidenschaft diskutierten, kommt mir hier ein bißchen komisch vor, und Du darfst mich nicht einer billigen Vereinfachung bezichtigen; wenn man nur unter Schriftstellern hockt, neigt man dazu, die Poeten -Probleme gar zu wichtig zu nehmen. Aber die Erde dreht sich weiter, zur Not auch ohne uns ...
Das letzte Mal war ich im Frühjahr 1990 nach den Wandlungen draußen in Petzow. Eine Kommission beriet in der Halle mit den großen Fenstern: Was jetzt mit dem Haus? Verkaufen? Verpachten? Wer sollte kaufen, pachten, das Haus übernehmen? Kein privilegierter Ort, wie eine der vielen DDR - Legenden, ein Haus mit unzureichenden Sanitäreinrichtungen, zur Hälfte nur kleine Kammern. Zusperren? Das Inventar versteigern? Annoncieren? Ach, Du meine Liebe. Ich habe eine Geschichte mit Dir. Ich stand auf. Ich ging an das Seeufer und setzte mich unter die großen Pappeln. Auf dem See war der Wasserdunst und es war ein seltsamer Dunst. Er füllte meine Augen.
Den Ort werde ich nie wieder besuchen. Auch hingen seit einigem Ketten vor den Toren und niemand war mehr zu treffen. Ungeklärtes Eigentum. Keine Dichter nirgens. La bolsche Vita.
Anmerkung der Redaktion:
Im April 2014 fragten wir Werner Liersch, ob wir seinen La-bolsche-Vita-Text in unsere Sammlung aufnehmen dürften. Im Laufe unserer Korrespondenz schrieb er uns öfter, wie glücklich er sei, dass endlich jemand damit beginnt, die Erinnerungen zu Petzow zusammenzutragen.
Auf unsere Frage nach diesem Text antwortete Werner Liersch:
Es hat mir keine Ruhe gelassen, anbei die Manuskriptfassung.
Ihr W.L.
Der Text ist in Werner Lierschs Buch DICHTERLAND BRANDENBURG beim "Verlag für Berlin-Brandenburg" erschienen, erhältlich im Buchhandel.