Das Heiratsinstitut

von Irina Kramp

Am 02.03.1958 trifft Siegfried Pitschmann (1930-2002) im Schriftstellerheim „Friedrich Wolf“ in Petzow ein. Es ist sein erster Aufenthalt. Nach einem knappen Jahr auf der Großbaustelle „Schwarze Pumpe“ in Hoyerswerda, daraus folgenden gesundheitlichen Problemen, einer gescheiterten, aber noch nicht geschiedenen Ehe in Mühlhausen und einer überwundenen Alkoholsucht hat ihm der Cheflektor des Aufbau Verlages Günter Caspar (1924-1999) drei lange Monate samt Stipendium am Schwielowsee organisiert. Schreiben soll er, möglichst Geschichten von der Baustelle. „Es herrschte eine himmlische Ruhe.“, erinnert sich Pitschmann.
Damit ist es knapp drei Wochen später vorbei: Brigitte Reimann (1933-1973) reist an. Schon vorher geht ein Raunen durch die anwesende Männerwelt. Die Reimann ist gerade einmal 24 Jahre alt, aber durch ihren Roman „Die Frau am Pranger“ (1956) bekannt und vielleicht sogar schon ein bisschen berühmt, bei einigen Männern wohl auch berüchtigt. Pitschmann hält erst mal Abstand – beide beäugen sich skeptisch und kritisch, sprechen (noch) kein Wort miteinander. Ihm ist das Getänzel und Gegockel um sie zuwider. Sie ist vielleicht zu abgelenkt von den anderen Männern oder der Inhaftierung ihres Ehemannes in Burg und dem Stasi-Ärger, der sich daraus ergibt. Aber wahrgenommen hat sie Pitschmann, denn am 29.03.1958 schreibt sie in ihrem Tagebuch: „Es gibt einen Menschen hier, der mich vom ersten Tag beunruhigt hat […].“
Dann passiert es: Die beiden rauschen ineinander. Beethovens Violinenkonzert wird gegeben, gespielt von David Oistrach. Pitschmann sitzt allein in der – wie er schreibt – wunderschönen Halle des Schriftstellerheims vor dem herrlichen, altmodischen, riesigen Radio und versinkt in der Musik. Plötzlich kommt Brigitte Reimann – einen Rattenschwanz Männer hinter sich herziehend – herein, hört nicht auf die Musik, verlangt nach etwas Flotterem und dreht am Radio. Pitschmann steht wütend auf und sagt strafend: „Das ist Oistrach, meine Dame – er spielt Beethoven!“
So beginnt sie, die „Wahnsinns-Liebe“ zwischen Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann – im Schriftstellerheim „Friedrich Wolf“ in Petzow. Am 10.02.1959 heiraten die beiden im Standesamt Werder, Trauzeuge ist Günter Caspar. Gefeiert wird im Schriftstellerheim bei einem großartigen Menü von Herbergsmutter Herta Ihlenfeld und mit den Heimgästen, die sich alle bemüßigt fühlen, von schiefgegangenen Ehen zu erzählen.
Ihr gemeinsamer Weg wird sie von Burg, 1960 nach Hoyerswerda und immer wieder auch nach Petzow führen – Pietschmanns Sohn Thomas aus erster Ehe wird Teile seiner Ferien dort verbringen. Die „Wahnsinns-Liebe“ geht offiziell am 13.10.1964 vor einer Scheidungsrichterin in Hoyerswerda zu Ende.

 

 

 

Die Zitate stammen aus:
 
Pitschmann, Siegfried „Verlustanzeige. Erinnerungen“.
Wartburg Verlag Weimar, 2004
 
Reimann, Brigitte
“Ich bedaure nichts. Tagebücher 1955-1963“. (herausgegeben von Angela Drescher)
Aufbau Verlag  Berlin
1997